Was ist Zeit? – oder: meine kleine Auszeit auf dem Kungsleden
Was für eine Frage! Weiß doch jeder: 60 Sekunden sind eine Minute, 60 Minuten sind eine Stunde, 24 Stunden sind ein Tag usw… Ja, aber habt ihr euch jemals gefragt, ob wir die Zeit in der richtigen Maßeinheit messen? Ist jeder Tag, jede Stunde unserer Lebenszeit gleichermaßen wertvoll? Bevor wir sie gelebt haben, potentiell ja. Aber wenn wir sie leben,, bekommen Stunden und Tage nicht oft eine ganz andere Bedeutung? Warum sagen wir „die Zeit steht still“ oder „die Zeit vergeht wie im Flug“? Vielleicht weil wir die Zeit oft falsch nutzen? Zu hohe Erwartungen haben? Ich möchte mich da nicht ausnehmen, im Gegenteil, ich bin jemand, der sich von der Zeit – oder besser gesagt von der Uhr – sehr oft stressen lässt, weil ich nie abschalten kann, sondern immer im Kopf habe, was noch alles zu erledigen ist, so dass ich oft auch die eigentlich schönen, entspannenden Momente gar nicht richtig genießen kann. Was also tut man dagegen? Man verplempert die Zeit… oder netter gesagt: man nutzt sie bewusst, nicht weil man etwas Wichtiges tun muss, sondern weil man sich entscheidet, etwas Zeitraubendes zu tun. In meinem Fall eine Wanderung auf dem Kungsleden, zusammen mit meinem Lieblingshund Zazu.
Schon die Planung war zeitraubend, aber in einem positiven Sinne. Zuerst musste ich mir überlegen, welchen Teil des Kungsleden ich laufen will. Da zu Hause auch noch 24 weitere Fellnasen und Mann und Kind warten, habe ich nur circa eine Woche Zeit. Gut, ganz Verrückte laufen den ganzen Trail in 15 Tagen, aber dafür fehlt mir nicht nur die Zeit, sondern auch die körperliche Konstitution. Ok, also von wo nach wo? Die Gegend um Abisko und Nikkaluokta kenne ich schon ein wenig und finde sie echt schön, aber da ich terminlich auf den Juli festgelegt war – Raffi hat Urlaub und die Hunde sind noch nicht im Training – schied der nördliche Einstieg von Vornherein aus. Denn dort sind zu dieser Zeit so viele Leute unterwegs, dass man sich leicht in die Zeit der Völkerwanderung zurückversetzt fühlen könnte. Ahja, nur so nebenbei, der Padjelantaleden hätte mich auch gereizt, dort sind Hunde aber selbst an der Leine verboten. Also, nächste Überlegung Hemavan – Ammarnäs. Dieser Teil ist vom STF (schwedischer Tourismusverein) auf sechs Etappen aufgeteilt. 78km in sechs Tagen? Wie bitte? Beim Marka24 in Oslo bin ich vor neun Jahren – puh, wie die Zeit verfliegt 🙈 – 80km in 23h gelaufen. Und hier kam dann wieder mein typisches Ich ins Spiel… Sollte ich dann nicht bis Kvikkjokk gehen, oder zumindest bis Jäckvik? Das würde dann auch mit der Busan- und -abreise gut passen. Und was mache ich, wenn die Tagesetappen nur drei bis sieben Stunden dauern, man keinen Handyempfang hat, um zu arbeiten, einen die Moskitos nerven? Es verging tatsächlich eine Zeit bis ich mich entschieden habe, wirklich nur Ammarnäs – Hemavan zu laufen. Ein Grund waren die zum Zeitpunkt der Planung hohen Temperaturen, ich hatte Angst, dass zu viel Sonne Dazu und mir nicht gut tun würde, gerade wenn man relativ weit gehen würde. Und natürlich kamen dann auch die Selbstzweifel a la „ich bin doch gar nicht fit genug, 35km am Tag zu gehen“.
Nachdem also die Strecke feststand, ging es an die Planung der Ausrüstung… und da ich schon lange Rückenprobleme habe, wollte ich natürlich möglichst wenig Gewicht mit mir rumschleppen. Zuerst hab ich kurz darüber nachgedacht, nur im Biwi zu schlafen, das wäre aber bei Regen blöd für Zazu und an den Nachmittagen, wenn die Mücken lästig werden auch. Also brauchte ich ein Zelt, das leicht ist, aber noch etwas Platz für Zazu hat. Als das erledigt war, kamen die nächsten Ausrüstungs- und Kleidungsgegenstände unter die Lupe – oder besser: auf die Waage. Bis einen Tag vor der Tour hatte ich mich nicht entschieden, welche Schuhe ich mitnehme. Raffi schwört ja auf Bergstiefel, aber da ich mit hohen Schuhen noch nie gut zurecht kam, schieden die nicht nur gewichtstechnisch aus. Es stand aber noch die Entscheidung Goretex-Wanderschuhe oder die 130g leichteren Running-Schuhe. Aufgrund des prognostizierten Regens sind es am Ende die Goretex geworden. Ob das eine gute Wahl war, dazu später. Als nächstes wurde das Essen vorbereitet und grammgenau abgewogen. Man soll ja relativ viel Energie auf wenig Gewicht bekommen. Natürlich könnte man jetzt sagen, warum so viel Zeit aufwenden für ein paar Gramm mehr oder weniger. Erstens machen so ein paar Gramm bei allem am Ende schnell mal ein paar Kilo aus und zweitens bin ich ein Planungs-Nerd 🤣 eine Tour zu planen ist für mich schon fast genauso wie sie am Ende durchzuführen. Deshalb habe ich auch früher immer die Urlaube geplant, die Umzüge und helfe noch heute unserer Familie, wenn sie mal wieder an der sinnvollsten Reiseverbindung scheitern. Natürlich haben auch unsere Gäste schon davon profitiert.
So, nachdem nun alles gepackt war, konnte es losgehen. Zuerst hatte ich mit dem Bus nach Ammarnäs fahren wollen, aber letztlich haben mich Raffi und Joël hingefahren. Da die erste Etappe nur 8km sind und auch der Bus erst am Nachmittag angekommen wäre, sind auch wir erst am späteren Vormittag losgefahren. Viertel vor zwei (oder für diejenigen, die einen Kuchen richtig teilen können: Dreiviertel zwei 😉) hatte Zazu seine Packtaschen umgeschnallt und ich den Rucksack geschultert. In der Wegbeschreibung hieß es, es gehe steil bergauf… das muss wohl ein Schwede geschrieben haben 😅 ich hatte mich jedenfalls auf einen heftigen Anstieg eingestellt, tatsächlich aber war es sehr human. Man darf wohl Schweden nicht mit den Alpen vergleichen… Wir wanderten durch den Wald und schon bei den ersten Brücken über rauschende Bäche wurde klar, dass dies nicht Zazus Lieblingsbestandteile des Trails werden würden, weshalb es auch keine Fotos von den Brücken aus gibt. Etwas später wurde die Vegetation spärlicher, statt Bäumen gab es jetzt fast nur noch Sträucher… und Moltebeeren. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine reife gesehen und kam auf den Gedanken, dass man am Rande des Trails wahrscheinlich nie reife Moltebeeren sehen würde, weil die Touristen, die sie nicht kennen, sie vermutlich immer zu früh pflücken… aber auch dazu später mehr. Nach einem letzten kleinen Anstieg kam die Aigert-Hütte in Sicht. Wir umrundeten einmal kurz den See und suchten uns dann ein schönes Plätzchen für unser Zelt. Den restlichen Nachmittag verbrachten wir mit einem kurzen Spaziergang zum Aussichtspunkt oberhalb der Hütte, mit Essen kochen und… mit Nichtstun. Was für eine Zeitverschwendung könnte man denken und kurz war ich geneigt, mich aufzurappeln und am ersten Teil dieses Blog-Beitrags zu schreiben, aber dann dachte ich mir, dafür bleibt später noch genug Zeit. Und dieses Nichtstun ohne an die nächsten Aufgaben zu denken ist viel wertvoller als eine Stunde auf dem Sofa, bei der man eigentlich die ganze Zeit nur ein schlechtes Gewissen hat. Ich denke, wer z.B. beim Fernsehschauen abschalten kann, dem sei dies gegönnt und der soll die Zeit so für sich nutzen, ich hingegen muss außer Reichweite der Arbeit sein, um sie – zumindest zeitweise – aus meinen Gedanken zu bekommen… Später am Abend hat zunächst ein Vogel Zazu und danach Zazu mich verrückt gemacht. Da das Wetter noch schön war, schließt Zazu vor dem Zelt an einem Baum bis ein frecher Vogel sich direkt über ihn gesetzt und unentwegt gezwitschert hat. Kein wohlgestimmtes Singen, nein ein nervtötendes Piepen. Als wenig später auch noch ein paar Regentropfen fielen, durfte Zazu ins Zelt. Was soll ich sagen? Mit Zazu im Zelt ist ungefähr so wie mit Joël in einem 1,80m breiten Bett, für mich bleiben 20cm am Rand 😬 Ich weiß gar nicht, wie Zazu das geschafft hat, aber irgendwann lag er auf meiner Isomatte und ich daneben.
Am nächsten Tag stand die mit 19km längste Etappe auf dem Programm. Es begann mit einem leichten Anstieg bis ganz hinauf aufs Kahlfjäll, von wo aus wir die Aussicht auf die umliegenden Berge genießen konnten. Zwischendurch ging es auch mal wieder etwas bergab und da zeigte sich plötzlich, dass so ein ausgewachsener Schlittenhund vielleicht nicht immer so praktisch ist. Denn wenn Zazu zieht, muss man schon ganz schön gegenhalten, um nicht zu fliegen. Das hat er dann dafür wieder ausgeglichen als wir so ab knapp der Hälfte der Strecke Leute getroffen haben, Sobald er nämlich jemanden gesehen hat, hörte er auf zu ziehen und wollte sich verstecken. Irgendwannn ging er dazu über wie sein Papa Ranger mehr neben als vor mir zu laufen, was auf dem Fjäll ja noch mehr oder weniger geht, im dann wieder beginnenden Waldbereich mit nur zwei Fuß breiten Wegen aber wirklich nervig war. Etwa zwei Kilometer vor dem Ziel mussten wir nochmal eine Hängebrücke über einem tosenden Wasserfall überqueren, da hätte ich Zazu fast tragen müssen. Die letzten beiden Kilometer waren dann auch wirklich ein Kampf, wer denn nun vorne läuft, denn nebeneinander war eigentlich nicht möglich – aber Zazu ist eben doch ein Dickkopf. Angekommen an der Serve-Hütte habe ich dann schnell unsere Zelt aufgebaut, denn es wimmelte nur so von Mücken und kleinen Fliegen. Zazu wollte auch gar nicht mehr raus und bei Regen schlief er so fest, dass er sogar vergaß, mich von meiner Isomatte zu verdrängen.
Am nächsten Morgen waren wir beide schon früh wach und so starteten wir noch vor 7 Uhr auf die nächste Etappe. Zunächst ging es noch ein bisschen bergauf, danach meist flach durch mehr oder weniger dichtes Gebüsch. Durch den vorangegangenen Regen war der Trail sehr matschig und teilweise standen auch die Bretter, die einen eigentlichen trockenen Fußes durch die sumpfigen Passagen bringen sollen, unter Wasser. So dauerte es auch nicht allzu lange bis ich trotz Goretex nasse Füße hatte. Zudem habe ich gefühlt 90% des Weges mit Zazu diskutiert, ob er nun vor oder hinter mir läuft, wobei er aber lediglich zwischen rechts und links gewechselt hat, Platz war aber auf beiden Seiten nicht 😬 Zum Schluss ging es bergab durch den Wald zum Tärnasjö, wo wir schon am späten Vormittag die Hütte erreichten. Klar hätten wir auch einfach nur Pause machen und dann weiterlaufen können, aber wir beschlossen stattdessen, es uns in der Hütte gut gehen zu lassen. Der „Hunderaum“ war in einer separaten Hütte, die wir ganz für uns allein hatten. So konnten wir das Zelt und Zaus Packtasche zum Trocknen aufhängen. Ich habe ein paar Sachen gewaschen – und bei der Gelegenheit ein kurzes Bad im See genommen – und Sachen und Schuhe in den Trockenraum der Haupthütte gebracht. Den Nachmittag haben wir abwechselnd in unserer Hütte oder am See relaxt und auf dem Weg dorthin auch ein paar reife Moltebeeren genascht, die säumen nämlich den Weg von der Hütte zur Sauna, also auch zum Strand. Ahja, gekocht habe ich zwischendurch auch noch, aber irgendwie war ich die ganze Zeit gar nicht hungrig. Eigentlich sollte mein Rucksack täglich an Gewicht verlieren, weil Essen raus kommt, tat er zwar auch, aber nicht in dem Maße wie berechnet. Abgesehen von Müsliriegeln, für die ich einen Re-Supply in Tärnasjö eingeplant hatte – aber nicht brauchte, hatte och noch so viel zu essen, dass ich locker noch ein paar Tage hätte dran hängen können…
Obwohl wir am nächsten Morgen erst eine Stunde später aufgestanden sind, sind wir damit natürlich immer noch vor den meisten anderen gestartet. Zuvor habe ich noch meine Sachen aus dem Trockenraum geholt, meine Schuhe waren aber auch nach ca. 18h im Trockenraum noch immer nicht annähernd trocken. Die Entscheidung, ob Goretex oder nicht, wird das nächste Mal definitiv anders ausfallen 😉 Die Etappe nach Syter führte erst einmal lange flach durch Birkenwald, unterbrochen von einigen offenen Sumpfflächen. Nach einer Weile kommt man zu einem tollen Strand, wo wir den Blick auf das spiegelglatte Wasser und die sich reflektierenden Berge im Hintergrund genießen konnten. Nach etwa zwei Drittel des Weges erreicht man die Tärnasjö-Brücken, mehrere Hänge- und Holzbrücken, um die Seeseite zu wechseln. Zwar noch immer nicht Zazus Favorit, aber da das Wasser darunter still war, schon besser zu meistern. Danach ging es mal kurz heftig berghoch, aber der Blick zurück auf die Seenlandschaft entschädigt definitiv. Weiter ging es flach über’s Fjäll mit super Ausblick auf die gegenüberliegenden, teils noch mit Schneefeldern bedeckten Berge. Kurz bevor wir die Sylter-Hütte erreicht hatten, begann es, leicht zu tröpfeln. Ich hab noch überlegt, Lob es sich überhaupt lohnt, die Regenjacke rauszuholen und den Rucksack abzudecken, aber man weiß ja nie 🤔 und gut war’s, denn die letzten 500m – wenn nicht gar weniger – hat es geschüttet wie aus Eimern. Und da der Wetterbericht – man hat auf Syter Handyempfang – für abends auch noch Gewitter angekündigt hat, haben wir uns spontan entschieden, doch noch einmal in der Hütte zu bleiben anstatt zu zelten. Anderenfalls wäre im Zelt alles sofort nass gewesen, denn Zazu hätte ja nicht im Regen draußen bleiben sollen. Und ihn im strömenden Regen trocken reiben zu wollen, ist auch ein eher sinnloses Unterfangen. Daher also nochmals die Luxusvariante. Später wechselten sich übrigens Sonne und Regen ab, aber das angekündigte Gewitter blieb aus.
Bevor es weitergeht, möchte ich euch aber noch an ein paar Gedanken zum Thema Zeit teilhaben lassen, die mir bei der offensichtlich nicht so anstrengenden Etappe kamen – wenn man nebenbei noch philosophieren kann 😅 Welche Bedeutung hat die Zeit für uns? Das ist sicher ganz individuell, aber stellen wir uns die Frage überhaupt? Jeder redet von „work-life-balance“, eine viel bemühte Floskel wenn es um die Arbeit in einer Großkanzlei geht – aber bei Weitem nicht nur dort. Ist die work-life-balance denn wirklich immer davon abhängig, wie viele Stunden wir arbeiten? Kommt es nicht eher darauf an, was wir mit unserer freien Zeit machen? Wenn ich nur fünf Stunden am Tag arbeite und den Rest des Tages rumsitze, rätselnd was ich noch machen möchte, habe ich dann wirklich eine bessere work-life-balance als jemand, der 12, 14 Stunden arbeitet, aber danach drei Stunden seinem Hobby nachgeht, das ihn total erfüllt? Was ist denn überhaupt Arbeit und darf Arbeit auch Spaß machen? Natürlich soll Arbeit bestenfalls auch Spaß machen, aber auch ein toller Job beinhaltet Aufgaben, die nicht so toll sind… deshalb wird man ja bezahlt. Wenn Arbeit immer nur Spaß macht, ist es dann nicht Urlaub, für den man selbst bezahlen müsste, oder zumindest ein Hobby? Die Frage stellt sich gerade bei einem Job wie unserem doch irgendwie automatisch, oder? Natürlich soll sich niemand – auch nicht gegen Bezahlung – kaputt arbeiten, aber sollten wir unser Augenmerk statt auf die Arbeit nicht lieber darauf legen, die verfügbare Zeit besser zu nutzen? Ganz egal, ob es fünf Minuten, eine Stunde oder ein ganzer Tag ist. Das lang ersehnte Treffen mit der Oma genau jetzt angehen, nicht wenn irgendwann mal wieder ein ganzes Wochenende Zeit ist. Den Pflicht-Brunch am Sonntag im großen Freundeskreis absagen, um endlich mal wieder auszuschlafen, ein Buch zu lesen oder nichts zu tun. Sich frei machen von gesellschaftlichen Zwängen, von der Definition der Zeit wie andere sie sehen. Ich bin sicher meilenweit davon entfernt, meine Zeit immer sinnvoll zu nutzen – schon wieder so ein Begriff: wer bestimmt denn bitte, was sinnvoll ist? Aber sich bewusst zu machen, dass man seine eigene Bedeutung, seine eigene Zeitrechnung finden muss, ist vielleicht ein erster Schritt. Obwohl ich diese Wanderung schon länger machen wollte, habe ich bis zum Schluss überlegt, ob ich wirklich gehen soll, da ich so viel anderes in dieser Zeit nicht erledigen kann. Ich bin froh, dass sich mein Dickkopf durchgesetzt hat. Nicht weil mir nicht auch unterwegs 1000 zu erledigende Dinge einfallen, sondern weil ich Zeit habe, sie nicht zu tun…
Und dann kam Tag 5. Auf der letzten Etappe – oder eigentlich den letzten beiden – hat mich die Zeit dann doch eingeholt oder vielleicht mein typischer Umgang mit ihr. Eigentlich ist die Strecke noch einmal in zwei Etappen von 12km und 11km geteilt mit Stopp in Viterskalet. Aber da man auf Syter Handyempfang hatte und den Wetterbericht checken konnte, habe ich mich verleiten lassen, die Etappen zusammenzulegen. Denn auch für den letzten Tag (oder eigentlich ja den vorletzten Tag) war für 14 Uhr Gewitter angesagt, was ich ungern im Zelt im Fjäll aussitzen wollte. Schon wieder in der Hütte übernachten wollte ich aber auch nicht. Und dann kam vielleicht auch noch dazu, dass ich die vorhergehenden Etappen schon relativ kurz fand und zwei noch kürzere am Schluss doch irgendwie keine Herausforderung gewesen wären. Als der Wetterbericht am Morgen immernoch Gewitter vorhersagte, entschied ich also, nach Hemavan durchzulaufen. Einziges Problem war, dass an diesem Tag kein Bus bis Arvidsjaur fahren würde und mich Raffi später aus Lycksele abholen müsste. Die Busverbindungen der nächsten beiden Tage hatte ich ja bereits nachgeschaut, da fuhr der Bus am (späteren) Nachmittag, also so oder so entspannt, wenn man gegen sieben losgeht. Gesagt, getan. Zunächst ging es den Hügel hinauf. Einer Eingebung folgend dachte ich mir, ich nutze den vorhandenen Handyempfang hier nochmal, um die genaue Abfahrtszeit des Busses zu checken… und war dann doch etwas überrascht, dass dieser schon 13:20 fahren sollte. Ok, ich hatte also etwas über 6h für die Strecke, könnte sich ausgehen. Notfalls könnte ich ja auch noch in Hemavan zelten (und mich während des Gewitters drin aufhalten). So lief ich zunächst über den Hügel, bei dem vor allem die Abwärtspassage teils wieder sehr matschig war und ich Zazu mehrfach bitten musste, nicht so zu ziehen. Irgendwie hatte er wohl auch im Gefühl, dass es die Schlussetappe werden sollte. Nach 4km bogen wir ab in ein langes Tal, das links und rechts von – für schwedische Verhältnisse – hohen Bergen gesäumt wurde. Dieses U-Tal wird auch als südliche Eingangsporte auf den Kungsleden bezeichnet und ist relativ leicht zu laufen. Man überquert zahllose kleinere Wasserläufe, die mal mehr, mal weniger breit sind. Um nicht auf den nassen Steinen auszurutschen, sollte man also nicht gar so schnell gehen. Das Tal zieht sich fast bis zur nächsten Hütte. An seinem Ende steigt man eine kleine Anhöhe hoch und von dort sieht man schon die Viterskalstugan. Dort haben wir uns kurz eine dreiminütige Pause gegönnt… zeitlich lagen wir ganz gut im Kurs, es war kurz nach 10 Uhr. Wir hatten den Weg hierher also in der am unteren Ende der angegebenen Zeitspanne gelegenen Zeit absolviert, trotz dessen, dass wir uns natürlich das ein oder andere Foto nicht haben nehmen lassen.
Die letzte Etappe nach Hemavan ist mit drei Stunden angegeben, es sah also gar nicht so schlecht aus. Auch die Etappe ist nicht anstrengend, da man erstmal länger auf gleicher Höhe das Fjäll quert. Aber auch hier gab es weitere Wasserläufe, matschige Stellen und kleinere steinige Auf und Abs, die man vorsichtig angehen sollte, wenn man nicht auf den letzten Kilometern noch eine Verletzung durch ein blödes Ausrutschen oder Umknicken riskieren wollte. Relativ schnell erreichten wir einen Wegweiser, der noch 5km bis Hemavan auswies. Demnach lagen wir sehr gut in der Zeit. Es folgte ein 4km Wegweiser und spätestens ab hier begegneten wir echt vielen Leuten, teilweise mit kleinen Kindern, wo ich noch dachte, dass die dann aber schon schön gewandert sind, wenn sie bis hier her gelaufen sind. Etwas irritiert war ich, dass trotz angeblicher nur noch 4km das Skigebiet noch nicht in Sicht war… das ließ dann auch nicht mehr allzu lange auf sich warten und bot mir die Erklärung für die vielen Kinder auf dem Berg: der Lift war in Betrieb. Es gab auch einen neuen Wegweiser mit Kilometer-Angabe: 4km bis Hemavan… dabei war der letzte mehr als einen Kilometer zurück. So langsam kamen mir Zweifel, wie weit es denn wirklich noch ist bis zum Ende des Kungsleden, der quasi der längste Weg ins Tal war. Es hätte vorher noch Abkürzungen gegeben, um schneller an der Bushaltestelle zu sein, aber die wollte ich nicht nehmen. Vielleicht war die Kilometerangabe ja nur irgendein Mittelwert. Und vom Ende des Kungsleden musste ich ja auch noch zur Bushaltestelle. Im Skigebiet hatte ich zwar wieder Empfang, wollte die Strecke aber nicht googlen, um mich auf den Weg und die Leute zu konzentrieren. Zazu ist zwar mega lieb mit allen, aber da man nie weiß, ob jemand Angst vor Hunden hat, sind wir immer ein Stück zur Seite gegangen, wenn wir jemanden getroffen haben. Der letzte Teil des Weges zog sich dann doch ziemlich in die Länge und siehe da, da war er wieder, der Zeitdruck. Theoretisch wäre eine weitere Nacht im Zelt ja gar kein Problem gewesen, aber den Bus um 5 oder 10 Minuten zu verpassen, wäre irgendwie sehr ärgerlich gewesen. Exakt 12 Minuten vor Abfahrt erreichten wir das Ende (oder den Anfang) vom Kungsleden, wo wir natürlich noch das obligatorische Foto machen mussten. Gleichzeitig googelte ich den Weg zur Bushaltestelle: 19min 🙈 ok, wir versuchen es. Die ersten zwei serpentinenartigen Wendungen konnten wir abkürzen, danach war es nicht mehr so richtig klar, welchen Weg wir gehen sollten. Es schien, als ob eine Vielzahl der Häuser neu gebaut wären und sich die Straßenverläufe mal geändert haben oder Maps war da einfach nur ungenau, denn es zeigte uns ständig zwischen den Häusern und auch die Laufrichtung war nicht zuverlässig. Da man ja aber bei Serpentinen mal in die eine und mal in die andere Richtung geht, war nicht so selbsterklärend, wo wir lang müssen. So lief uns die Zeit immer mehr davon und wir waren noch nicht ganz an der Hauptstraße als eigentlich der Bus schon hätte kommen sollen. Ein paar Meter davor fragten uns Wanderer, ob wir zum Bus wollten und ich dachte schon, sie würden sagen, dass er schon weg sei. Das Gegenteil war aber der Fall und so eilten wir die letzten Meter bis zur Haltestelle. Keine Minute später kam der Bus. Unpünktlichkeit muss ja nicht immer was Schlechtes sein. Ich bin definitiv ein Mensch, der sehr viel Wert auf Pünktlichkeit legt, aber in diesem Fall hatte sich der Bus meiner Zeitrechnung angepasst, worüber ich sehr dankbar war.
Für Zazu war es das erste Mal Busfahren, aber er hat auch das mit Bravour gemeistert. Wir sind dann mit dem Bus bis Lycksele gefahren, wo uns Raffi und Joël abgeholt haben. Zuhause angekommen, ist Zazu erstmal in seinen Zwinger zu Max, wo wild gespielt wurde. Da haben sich wohl zwei vermisst. Aber etwa eine Stunde später waren die Hunde wieder laut, anders als wenn Zazu und Max nur spielen. Und wer kommt da zum Haus geschlichen? Zazu (der noch nicht in seinen neuen, hoffentlich ausbruchsicheren Zwinger umgezogen ist), war wohl der Meinung, dass er lieber bei mir schlafen will… na gut, heute also als Ausnahme das Sofa. Morgen werden dann Zwinger getauscht 😂 Max war darüber übrigens gar nicht happy und hat geheult, weil er Zazu vermisst hat (was er die letzten Tage wohl nie gemacht hat). Wenig später waren die Hunde unruhig – und laut – weil die Elche zu Besuch waren… man hat sie also schnell wieder gehabt, die gewohnte Geräuschkulisse von 25 Hunden 😉
Falls ihr euch fragt, ob mein letzter Tag nicht kontraproduktiv zu den vorherigen Tagen war, wo es doch um Entschleunigung und die Bedeutung der Zeit ging: nein, ganz und gar nicht. Denn für mich war es ein Ansporn, gegen die Zeit zu laufen. Es hat mir Spaß gemacht und war daher sehr sinnvoll genutzte Zeit. Nun habe ich zu Hause noch etwas mehr Zeit für alle Fellnasen.
Falls ihr jetzt auch Lust auf die Tour bekommen habt… wir werden sie nächsten Sommer auch für Gäste anbieten. Den Text habe ich schon während der Tour „quasi live“ angefangen zu schreiben. Nur die letzten beiden Etappen fehlen noch 😉