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01.02.2024

Ethik und Verantwortung

Heute geht es mal um ein ernstes Thema ohne schöne Bilder von glücklichen Hunden im Schnee und Sonnenschein, Nordlichter oder was Lappland sonst so besonders macht. 

Denn leider hat Lappland – oder genauer gesagt die Schlittenhundeszene – auch Schattenseiten. Vielen Touristen, die schon immer mal eine Schlittenhundetour machen wollten und erst recht denjenigen, die es erst seit Kurzem, seit es „in“ ist, auf ihrer Bucket-List haben, ist gar nicht bewusst, wie viel Leid zum Teil mit diesem Business verbunden ist. Deshalb soll heute Mal ein kleines bisschen Aufklärung erfolgen, um ein Bewusstsein zu schaffen und so vielleicht dem ein oder anderen Schlittenhund ein besseres Leben zu ermöglichen. 

Wie ich ausgerechnet jetzt darauf komme? Zwei Anlässe sind aktuell sehr präsent. Zum Einen hat die für die Kontrollen der Schlittenhundekennel zuständige Behörde Länsstyrelsen in den vergangenen Monaten mehrfach mehrere Dutzend Hunde wegen Verstoßes gegen die Tierschutzbestimmungen beschlagnahmt. Nicht zum ersten Mal, aber aktuell häuft es sich wieder und betrifft weit über 100 Hunde. Wohin die alle vermittelt werden sollen? Ich weiß es nicht. Zum anderen wird unser Rafiki gerade wegen eines Kreuzbandrisses operiert, bei der die klare Aussage des Tierarztes war, dass die meisten Eigentümer den Hund eher einschläfern lassen, als eine teure OP mit ungewissem Ausgang zu bezahlen. 

Nun aber der Reihe nach. Schweden hat, im Gegensatz zu Finnland und Norwegen, ein sehr strenges Tierschutzgesetz.

Zunächst ist die Kettenhaltung in Schweden verboten. Das kann man nun gut finden oder auch nicht. Wir selbst haben in Norwegen ein perfektes Beispiel von Kettenhaltung kennengelernt, die meines Erachtens der Zwingerhaltung weder im Hinblick auf Bewegung noch soziale Kontakte in irgendetwas nachsteht und durchaus auch Vorteile aufweist. Allerdings haben wir auch das Gegenteil kennengelernt, zu kurze Ketten (die vor einer angekündigten Kontrolle mal schnell verlängert wurden, was nur ging, weil zwei Drittel der Hunde auf Tour waren) und keinerlei Freilauf. Und da leider die konkrete Ausgestaltung oft nicht ausreichend kontrolliert wird (werden kann?) und viele Kennel im Bereich des Massentourismus nur auf den Profit schauen, erscheint ein Verbot der Kettenhaltung durchaus positiv. 

Hinsichtlich Zwingerhaltung sind die Vorschriften in Schweden sehr umfangreich. Die Zwinger müssen relativ groß sein, es muss isolierte Hundehütten mit Stroh, Spänen oder einer ähnlichen Unterlage bzw. ein Hundehaus geben, die Hunde müssen im Sommer permanent Zugang zu Frischwasser haben, sie müssen täglich Freilauf bekommen usw. Auch wenn man sich über manche Details streiten kann, so sind die Ansätze im Sinne des Tierwohls definitiv zu begrüßen. Des Weiteren gibt es in Schweden die Pflicht, jeden Hund beim Jordbruksverket zu registrieren und außerdem eine Genehmigung für den Kennel zu beantragen, wenn man mehr als zehn erwachsene Hunde hat oder gewerblich mit Hunden (da reicht schon einer) tätig ist. Aber hier kommen wir auch schon zu einem grundlegenden Problem. Ich kenne nur sehr wenige Musher neben uns, die alle ihre Hunde registriert haben, so dass vermutlich gar nicht bekannt ist, wie viele Schlittenhunde es überhaupt gibt. Noch schlimmer ist aber, dass sehr viele – leider auch viele eingewanderte Musher – ihre Kennel nicht registrieren, weshalb es für Länsstyrelsen natürlich schwierig ist, diese zu kontrollieren, wenn nicht einmal bekannt ist, dass es sie gibt. Nun könnte man einwenden, wenn sich niemand beschwert, gibt es wahrscheinlich auch nichts zu bemängeln. Aber macht man es sich damit nicht vielleicht etwas leicht? Weiß denn jeder Nachbar wie genau die Vorschriften aussehen? Und warum soll sich nicht jeder an die Vorschriften halten müssen?

Ein ähnliches Problem besteht mit den großen Kenneln, die selbst gar nicht so viele Hunde haben und nur für die Saison Musher mit eigenen Hunden bei sich aufnehmen, oft natürlich mit zu wenig Platz für alle Hunde und sich der Verantwortung entziehend, auch im Sommer für die Tiere sorgen zu müssen, die im Winter das Geld verdienen. 

Noch schlimmer wird es, wenn man weiß, dass es Kennel in Skandinavien gibt, die gezielt auf den Winter hin Puppies „produzieren“, damit die Gäste was zum Kuscheln und für tolle Instagram-Fotos haben. Nicht nur, dass man Puppies eigentlich lieber im Frühjahr/Sommer haben sollte, das Schlimmste ist, dass diese „Foto-Puppies“ teilweise nicht mal weiter aufgezogen werden. Es gibt Fälle da werden sie nach der Saison einfach entsorgt. 

Dieses Schicksal ereilt aber nicht nur Puppies, sondern vor allem auch alte und kranke Hunde oder solche, die vielleicht nicht so hart arbeiten oder aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr gewollt sind. Leider ist es in allen drei Ländern gesetzlich erlaubt, Hunde die man nicht mehr will ohne medizinische Indikation einzuschläfern oder zu erschießen, solange der Hund bei der Tötung nicht gequält wird. Könnt ihr euch das vorstellen? Solange der Hund süß ist, um Fotos zu machen oder den Schlitten zieht, auf dem zahlende Touristen sitzen/stehen, dürfen sie leben, wenn sie aber nur noch Geld kosten, entledigt man sich ihnen! In was für einer Welt leben wir denn bitte? Geht das Geschäft wirklich über alles?

Natürlich haben auch wir schon oft gehört, dass Schlittenhundetouren ja so teuer seien. Ja, sie sind nicht billig. Und auch ich komme aus einem Umfeld, wo sich viele einen solchen Urlaub vielleicht nie leisten können. Das ist schade, für die, die es wirklich ernsthaft interessiert. Nichtsdestotrotz muss man sich einmal bewusst machen, wie viele Wochen im Jahr ein Schlittenhund Geld verdient und wie viele Monate im Jahr er mehr oder weniger nur Geld kostet, sei es Futter, Wasser, die Ausrüstung des Kennels, Tierarzt, Strom, usw. Nicht zu vergessen die ein bis eineinhalb Jahre bis das süße Puppy anfängt zu arbeiten und die Jahre als Rentner, was durchaus fünf Jahre sein können. Ganz grob gesagt, verdient ein Hund vielleicht in zwei Drittel seines Lebens jeweils ein Viertel des Jahres Geld, den Rest der Zeit kostet er. Aber rechtfertigt uns das, ihn zum Objekt eines „Billigurlaubs“ zu machen? Ganz sicher nicht! Unsere Hunde sind unsere Familie und ihnen soll es an nichts fehlen. Wir möchten unsere Gäste an diesem Leben mit unseren Hunden teilhaben lassen. Ja, das kostet. Und wir verstehen jeden, der es sich nicht leisten kann. Es ist auch völlig ok für uns, wenn jemand „zur Konkurrenz“ geht, denn wir haben diesen Konkurrenzgedanken nicht. Aber wir möchten einfach alle, die eine Schlittenhundetour machen möchten – egal, ob ein paar Stunden oder mehrere Tage – bitten: schaut euch an, wo ihr bucht, hinterfragt es, alles! Rechnet nach: zehn „Vorzeige-Oldies“ können nicht stimmen, wenn man 300 laufende Hunde hat, außer es gibt ein plausibles und praktikables Re-Homing-Programm. Auch wenn ihr über Reiseveranstalter bucht – was total legitim ist – pocht auf mehr Informationen. Denn leider machen sich auch nicht alle Reiseveranstalter genug Gedanken. 

Und nun kommen wir zu Rafiki. Der kleine Wirbelwind war eigentlich eingeplant, beim Metsjövidda Fjällrace zu laufen. Leider hat er sich an Weihnachten verletzt. Glücklicherweise nicht auf Tour mit Gästen, so muss sich weder ein Gast etwas vorwerfen, noch wir uns die Frage stellen, ob man wirklich Gäste Hunde fahren lassen darf. Nein, es ist banal, er ist einfach – wie jeden Tag bestimmt 100x – von der Hütte runtergesprungen. Und wahrscheinlich ungünstig gelandet. Zuerst dachten wir, das gibt sich nach ein paar Tagen wieder, denn bis auf ein leichtes Humpeln am ersten Tag, ist er sofort wieder wie ein Verrückter rumgerannt und gesprungen und hat bei Untersuchungen durch uns keinerlei Schmerz gezeigt. Allerdings konnte man im Stand sehen, dass er den Fuß nicht richtig aufsetzt. Als es nach einer Woche nicht besser wurde, waren wir beim Tierarzt und unter Narkose konnte man den Test machen: das Kreuzband ist durch und muss operiert werden. Diese Operation führen nicht so viele Tierärzte durch, aber es gibt einen Spezialisten, der auch „nur“ 200km one way von uns entfernt ist. Naja, wir sind in Lappland, da ist das noch nicht weit. Wir waren dann in der zweiten Januarwoche zur Voruntersuchung. Dabei erklärte mir der Tierarzt, wie die Operation verläuft und dass es für arbeitende (Schlitten-)Hunde keine Garantie gäbe, dass sie wieder arbeiten können. Viele Hundebesitzer (insbesondere bei Jagdhunden) ließen ihre Hunde daher lieber einschläfern als knapp 50.000 SEK für eine Operation mit ungewisser Prognose auszugeben. Das sei halt so in Schweden. Hallo? Da sind wir doch wieder beim Thema. Rafiki ist drei Jahre alt, ein absoluter „Happy-Dog“ und den soll man einschläfern, weil er jetzt Geld kostet und vielleicht keins mehr verdient? Ja, natürlich reißen diese Kosten, die noch nicht einmal die Rehabilitation einschließen, ein großes Loch in unser Budget. Aber man weiß, dass ein Hund nach so einer Operation normal laufen und rennen kann und keine Schmerzen hat. Da muss es doch wohl vollkommen egal sein, ob er später wieder einen Schlitten zieht oder nicht. Für uns stand keine Sekunde in Zweifel, dass Rafiki die Operation bekommt und natürlich hoffen wir, dass er sich gut erholt, denn er wird jetzt schon verrückt, wenn die anderen auf Tour gehen und er nicht mit kann. Und falls nicht? Dann wird er eben Kuschelhund! Mal abgesehen davon, dass er ja auch ein perfektes Fotomodell ist 😉 An dieser Stelle möchten wir auch die Gelegenheit nutzen, uns bei einigen unserer lieben Gäste zu bedanken, die uns mit einem Beitrag zu Rafikis OP unterstützen, DANKESCHÖN 🙏 

Und zum Abschluss: jeder Musher trägt die Verantwortung für seine Hunde, aber wenn auch die Touristen kritischer hinterfragen, wie die Hunde leben, wird es irgendwann vielleicht nicht mehr möglich sein, Massentourismus auf Kosten der Hunde anzubieten. Ich wünsche es mir und ich weiß, dass wir Musher-Kollegen haben, die es genauso sehen und Gäste, die uns unterstützen. Aber noch sind wir nicht am Ziel. Deshalb: schaut nicht weg! Fragt nach! Handelt!